Wotans Auge
Auf seiner ununterbrochenen Such nach Weisheit und Erleuchtung beschreitet Wotan die verschiedensten Wege, um ans Ziel zu kommen. Eine der Antriebskräfte dürfte sein, dass seine Frau Frigg als beinahe allwissend gilt, diese Erkenntnisse aber mit niemandem teilt, auch nicht mit ihrem Ehemann. Das macht den Gott der Weisheit natürlich krank, weil er seinen Geist mit dem ihren nicht messen kann, da sie sich auf derlei Spielchen nicht einlässt. Dass er nicht allwissend ist, weiß er natürlich selbst am besten und so treibt ihn diese Unzufriedenheit an, nach immer neuer Erkenntnis zu streben. Wotan hörte von einem Brunnen, der anstatt mit Wasser mit Met gefüllt ist. Das interessierte ihn natürlich und glücklicher Weise hat es dieser Met an sich, nicht nur Räusche und in der Folge Kopfweh zu verursachen, sondern seinem Trinker Weisheit zu spenden. Mit Riesenschritten machte er sich auf den Weg dorthin und wollte schon sein Trinkhorn hineintauchen, um die trockene Kehle von der langen Reise zu befeuchten und die Kühle des Trankes in seinem Rachen zu spüren, da stellte sich ihm Mimir in den Weg und verwehrte ihm die Erfrischung. Mit grimmer Stimme fuhr Wotan ihn an, ob er noch ganz bei Verstand sein, einem Wanderer seine Stärkung zu missgönnen. Mimir aber antwortete ruhig, dass er wohl daraus trinken könne, wenn er mit einem Auge dafür bezahle. Das ließ Wotan sich nicht zweimal sagen, da ihm ja noch ein weiteres zu Verfügung stand und so riss er sich eines, begleitet von einem Schrei, der Mimir durch Mark und Bein ging, aus dem Gesicht, legte es als Pfand in Mimirs Hand und trank in vollen Zügen aus dem Brunnen. Er spürte, wie ihn das gesammelte Wissen der Welt durchströmte und ihm bislang Unverständliches nun auf einmal logisch erschien. Der Preis, den er bezahlte, schwächte ihn nachhaltig und doch war es ein geringer, denn durch die erlangte Weisheit war er nun im Stande, sein physisch eingeschränktes Sichtfeld mehr als zu erweitern.